Da war er. Der Moment…
…als ich die Palliativstation des Klinikums in Ansbach betrat. „Krankenhaus Ansbach, Palliativstation Zimmer 9.“, hatte ich am Tag zuvor die Nachricht von Maria erhalten. Viele Monate zuvor, wurde von ihr schon der Wunsch geäußert, dass ich ihre Trauerfeier halten soll und sie alles mit mir besprechen möchte. Nun ging alles ganz schnell und ich wusste zeitweise nicht, ob wir es noch schaffen werden. Die Nachricht auf meinem Handy war die Einladung zu unserem Gespräch gewesen.
“Anna, wein bloß nicht!”, sagte ich mir.
Völlig in Trance ging ich durch die Tür. Meine Schritte wurden schwer und langsam. Der Weg schien mir unendlich. Viele Fragen stellten sich in meinem Kopf. „Wie wird Maria aussehen?“, „Sind die Zimmer freundlich?“, „Hätte ich es lieber nicht machen sollen?“. Und eine Sache beschäftigte mich besonders. Ich sagte mir: „Anna, du darfst nicht weinen. Sei stark. Bei Trauerfeiern schaffst du es auch.“ Das war so wichtig für mich. Nicht zu weinen. Vor einem Menschen, der weiß, dass er sterben muss. Und dann stand ich da, am Zimmer Nummer 9.
Ein lichtdurchflutetes Zimmer – Palliativstation Ansbach.
Meine feuchten Hände klopften an der Tür und ich trat ein. Ein großes lichtdurchflutetes Zimmer mit großen Fenstern und einem gelben Wandanstrich erwarteten mich. Alles war sehr freundlich und einladend. Maria blickte mich an. „Ach du bist es. Nimm dir da einen Stuhl und setz dich zu mir.“ Ich legte meine Jacke auf das große Sofa, welches ebenfalls in diesem Raum stand und setzte mich zu ihr. Der dicke Kloß in meinem Hals verschlag mir die Sprache. Wortlos saßen wir da, ehe ich es dann doch schaffte sie zu fragen, wie es ihr geht und wie die letzte Operation für sie war. Ein kleiner Smalltalk begann. „Puh, das ist ja gar nicht so schlimm.“, dachte ich. Doch dann wurde aus Gespräch ein tiefgründiger Dialog mit einer starken Persönlichkeit. Es ging in die Tiefe. Maria begann zu weinen und plötzlich liefen mir völlig unkontrolliert die Tränen über die Wangen.
Wechselbad der Gefühle.
Wir weinten beide, teilweise saßen wir nur schluchzend da. Ich hielt ihre warme Hand, stellte ihr meine Fragen, hörte ihr zu und wir lauschten Liedern, die für die Trauerfeier passend sein könnten. Wir lachten und weinten. Es war ein Wechselbad der Gefühle, welches nicht in Worte zu fassen ist. Es fühlte sich alles richtig an, so wie es war. Ich machte mir keine Gedanken mehr darüber, dass ich weinend vor ihr saß. Das war okay, so richtig okay. Ich würde fast sagen: Es war gut – für uns beide. Am Ende unseres Gesprächs wusste ich, dass wir uns heute das letzte Mal gesehen haben.
Ich wünschte es gäbe mehr Menschen wie dich.
Die Emotionen kochten noch einmal hoch und ich fragte: „Maria, gibt es noch irgendetwas, was du mir sagen möchtest?“ unter Tränen antwortete sie: „Bleib so wie du bist. Ich wünschte es gäbe noch mehr Menschen wie dich.“. Sie zog mich zu sich und umarmte mich. Weinend lagen wir uns in den Armen, ehe ich mich verabschiedete und ihr sagte, sie könne sich jederzeit bei mir melden, wenn ihr noch etwas einfällt, was für ihre Trauerfeier wichtig wäre. Auf dem Heimweg von der Palliativstation in Ansbach verpasste ich die Ausfahrt und fuhr einen kleinen Umweg. Ich stand neben mir und musste viel nachdenken. Einige Wochen später feierten wir Marias Trauerfeier.