Vatertag. Ein Tag, der im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zu einem festen Bestandteil unserer deutschen Kultur wurde. Ich gebe zu: In meiner Familie ist der heutige Tag ein Feiertag. Wir Kinder haben ihn nie zu einem Festtag unseres Vaters gemacht. Wir lieben ihn trotzdem. Für viele Menschen ist dieser Tag, ein Tag der unsichtbaren Trauer.
Die unsichtbare Trauer.
Der Vatertag (sowie auch Muttertag) bringt für viele Menschen eine unsichtbare Trauer mit sich. Eine Trauer, die in unserer Gesellschaft nicht gesehen, vielmehr teilweise belächelt oder mit doofen Ratschlägen abgetan wird. Trauer ist vielschichtig und gleichzeitig wird sie verdrängt und unter den Teppich gekehrt. Das ist falsch. Wir müssen und dürfen sie zeigen, um gesund zu bleiben. Jede Träne, die nicht gezeigt wird (oder auch: werden „darf“), bringt das Fass – Tropfen für Tropfen – irgendwann zum Überlaufen. Heute möchte ich meine Worte allen Männern (oder denen, die sich so fühlen) widmen, die sich denken „So ein scheiß Vatertag!“.

So ein scheiß Vatertag…
Denkst du dir vielleicht heute, während du die unzähligen WhatsApp und Instagram Stories durchblätterst. „Bester Papa“ da, „Best Dad“ dort, lachende Gesichter, Kinderbilder und glückliche Familien… und irgendwo dazwischen bist du. Der, der heute so richtig traurig ist. Vielleicht sogar wütend. Enttäuscht oder auch verletzt. Der, der am Liebsten so richtig losheulen würde. Stattdessen sitzt du mit deinen Kumpels zusammen und feierst das Leben.
Du – das Kind eines Vaters, der bereits gestorben ist.
Tot. Weg. Einfach nicht mehr da. Wahrscheinlich zu früh. Es ist immer zu früh. Ein Herzensmensch, den du heute so vermisst und ihm so gerne sagen würdest, was für ein toller Papa er ist. Dein Herz ist schwer, ganz egal, ob dein Vater heute drei Wochen oder 15 Jahre tot ist. Wie gerne würdest du heute mit ihm sein Sein feiern. Sein Leben… oder vielmehr euer Leben. Wie gerne würdest du ihm von deiner Woche berichten und mit ihm das tun, was ihr immer miteinander getan habt. Er bleibt unersetzlich. Für immer.
Du – der gerne ein Vater wäre, aber (immer noch) keiner ist.
Liebe, Heirat, Kinder. Bei allen anderen hat es doch auch geklappt. Nur bei euch nicht. Immer und immer wieder habt ihr es probiert, versucht. Um euch herum sind Freunde, die die Schwangerschaft ihres Kindes verkünden. Jedes Mal ein Schlag in die Magengrube und immer wieder eine Trauer, die nur so wenige verstehen. Du hörst Worte, die du nicht mehr hören kannst und willst. „Irgendwann wird es klappen.“, „Ihr dürft euch nicht so einen Druck machen.“, „Wart ihr schon in der Kinderwunschklinik?“. Nein. Einfach nein. Du möchtest keine Tipps, sondern gesehen werden. In deinem Gefühl. In dem, was dich bewegt. Unendlicher Trauer.
Du – der alleinstehend ist und sich fragt, ob er jemals ein Vater werden wird.
Du, der so gerne Papa werden möchte und die Rahmenbedingungen leider nicht dafür gegeben sind, weil es schwierig ist ein Single-Dad zu sein. Was für Frauen heutzutage möglich gemacht wird, stellt für Männer eine unerreichbare Hürde dar. Ganz abgesehen von den Reaktionen der Gesellschaft, die es dir schwierig machen würden. Traurig stößt du mit deinen Kumpels an.
Du – der keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat.
Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht berechtigt. Vielleicht aber auch nicht. Womöglich wisst ihr gar nicht mehr, wie es so weit kommen konnte. Heute vermisst du es besonders. Das Gefühl einen liebenden Vater zu haben. Das Gefühl einer tiefen Umarmung. Das Gefühl, das er dir immer gegeben hat. Heute ist er räumlich weg und im Herzen nah. Irgendwie. Und auch wieder nicht. Auch, wenn du vielleicht sagst „Es ist besser so.“, ist in dir die Trauer des Verlusts.
Du – der sein Kind nicht (mehr) sehen darf.
Das andere Elternteil verweigert den Kontakt. Dein Kind ist dir fremd. Jugendamt. Gerichtsverhandlungen. Du bist müde von all den Kämpfen und dein Herz ist schwer. Heute unternehmen so viele Familien, Mütter, Väter schöne Ausflüge mit ihrem Nachwuchs. Wie gerne würdest auch du einen Ausflug in den Freizeitpark mit deinem Kind unternehmen. Voller Liebe. Voller Leichtigkeit. Stattdessen sitzt du da und flüsterst ganz leise: „Kind, ich bin da. Vielleicht kannst du mich irgendwann liebevoll Papa nennen.“
Du – der sein Kind verloren hat.
Für immer. Unausweichlich. Die Reihenfolge ist durcheinander geraten. So eine scheiße. Was würdest du dafür geben dein Kind heute umarmen zu dürfen? Noch einmal lachen, noch einmal küssen, noch einmal… so viel mehr. „Scheiß auf den Vatertag. Ich will mein Kind zurück.“. Traurig legst du eine Blume am Grab nieder und blickst in den Himmel. Ob es dich wohl spüren kann?
Du – der oder die seinen/ihren Vater nie kennengelernt hat.
Vielleicht hat er eure Familie verlassen. Vielleicht hatte deine Mutter einen One-Night-Stand und (wie in den früheren Zeiten üblich) keine Kontaktdaten deines Vaters. Womöglich weiß er selbst nicht, dass er ein Kind hat. Viele Gründe und viele Fragen. Sehe ich ihm ähnlich? Was würde ich ihn zuerst fragen wollen? Werde ich ihn jemals kennenlernen? Wo kann ich ihn finden? Oder auch: Warum verweigert er den Kontakt? Warum will er nicht wissen, wer sein Kind ist? Eine Trauer um etwas, dass du nie hattest und dir so sehr wünschst. Papa. Ich bin da. Wo bist du?

Unsichtbare Trauer in verschiedenen Facetten.
Vielschichtig. Manchmal unsichtbar. Häufig ein Tabu für unser Umfeld. Du hörst „Stell dich nicht so an.“ oder „Deswegen musst du doch nicht traurig sein.“. Doch. Du darfst traurig sein, über alles, was dir schmerzt. Du triffst womöglich auf Unverständnis. Wirst belächelt. Deine Trauer ist berechtigt. Immer. Und dafür muss sie niemand verstehen. Den einzigen Wunsch, den du hast, ist: Gesehen zu werden. In deiner unsichtbaren Trauer. In deinem Schmerz. In deinem Verlust. Das Leben hat manchmal keine Triggerwarnung. Doch…